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Das neueste Album des deutschen Pianisten Rene Kroemer, „No One Here“, wird am 11. Oktober 2024 über das deutsche Label Mons Records veröffentlicht. In einem innovativen Ansatz für die Veröffentlichung von Alben, insbesondere für das Jazz-Genre, hat sich Kroemer dafür entschieden, das Album ab dem 24. Mai 2024 Stück für Stück auf Streaming-Plattformen zu veröffentlichen. Diese Strategie ist zwar unkonventionell, passt aber gut zu den heutigen Musikkonsumgewohnheiten auf digitalen Plattformen.

Das Album enthält 12 Titel, die überwiegend im Trio-Format aufgenommen wurden. Neben Kroemer am Klavier sind Nico Brandenburg am Kontrabass und Marcus Moeller am Schlagzeug zu hören. Das Repertoire ist eine Mischung aus zeitlosen Standards und drei Originalkompositionen von Kroemer, darunter der Titeltrack „No One Here“.

Eine bemerkenswerte Ergänzung des Kern-Trios ist der Mundharmonikaspieler Konstantin Reinfeld, der auf der Hälfte der Albumtracks zu hören ist. Reinfeld, der in der europäischen Jazzszene kein Unbekannter ist, verleiht dem Klang des Trios eine zusätzliche Dimension. Seine Präsenz auf dem Album fügt eine unverwechselbare Stimme hinzu, die die Gesamttextur des Ensembles ergänzt.

Das Album beginnt mit „The Old Country“, einer Komposition von Nat Adderley und Curtis Lewis, die erstmals 1961 auf Cannonball Adderleys klassischem Album mit Nancy Wilson aufgenommen wurde. Kroemers Interpretation beginnt mit einer ausgedehnten Solo-Klavierdarbietung, bevor sie in eine Interpretation mit mittlerem Swing übergeht. In den Liner Notes erwähnt Kroemer, dass er das Stück reharmonisiert und ein ausführliches freies Intro beigesteuert hat, was seine Vorliebe für den Aufbau langer Spannungsbögen zum Ausdruck bringt. Er hält es für einen idealen Opener sowohl für Konzerte als auch für diese CD.

„Bei dir war es immer so schön“ stellt Konstantin Reinfeld dem Ensemble vor. Das Stück beginnt mit einem Funk-Feeling, bevor es in ein mittelschnelles Straight-Achtel-Tempo übergeht. Reinfelds einzigartiger Stil fügt sich nahtlos in den von Kroemer ein, was zu Soli führt, die mühelos über dem rhythmischen Fundament schweben. Kroemer merkt an, dass diese Melodie von Theo Mackeben aus dem Jahr 1940 eine süße Melancholie in sich trägt, ohne kitschig zu wirken. Die neu interpretierten Änderungen verleihen ihr eine modernere harmonische Basis, die die lyrischen Qualitäten der Mundharmonika zum Vorschein bringt.

„Franka“, Kroemers erste Eigenkomposition auf dem Album, ist eine geradlinige Ballade mit einem starken melodischen Solo des Bassisten Nico Brandenburg.

Darauf folgt George Shearings Klassiker „Lullaby of Birdland“, bei dem sich Brandenburg und Kroemer das Thema teilen. Das Stück ist in einem lockeren mittleren Tempo gehalten und zeigt ein bemerkenswertes Solo von Kroemer. Der Pianist erwähnt, dass dieses Arrangement das Thema leicht verfremdet und mit charmanten Dialogen zwischen Klavier und Bass aufwartet.

„Digga!“, die zweite Eigenkomposition, basiert auf einer Blues-Progression, die an klassische Cannonball-Adderley-Alben aus den späten 1960er-Jahren erinnert. Konstantin Reinfeld liefert bei diesem Titel eine herausragende Leistung ab. Kroemer erklärt, dass er den Titel aus dem Jugendslang entlehnt hat, weil er seiner Meinung nach irgendwie zum Charakter des Stücks passt.

Duke Ellingtons „Mood Indigo“ wird als langsamer, trällernder Blues interpretiert. Kroemer drückt seinen Wunsch aus, diese Melodie in einem bluesigen Balladenstil mit viel Raum aufzunehmen. Er merkt an, dass Mundharmonika und Klavier das Thema und die Improvisation teilen, während die Rhythmusgruppe ein unverwechselbares Fundament liefert.

Lulus „Back in Town“ besticht durch seinen Second-Line-Stil und zeigt Kroemers ausgefeilte Stride-Piano-Fähigkeiten. Der Pianist beschreibt dies als einen „ersten Take“ voller Freude und Energie, der die Zuhörer zum Tanzen anregt.

Harold Arlens vielgespielter Klassiker „Over the Rainbow“ folgt als zweite Ballade auf dem Album, gespielt mit bemerkenswerter Sensibilität. Kroemer erwähnt, dass er dieses Stück zwar bereits 2020 auf einer Solo-CD aufgenommen hatte, es aber im Trio-Format mit einer langen, frei improvisierten Klavier-Einleitung neu aufnehmen wollte.

„Estate“ präsentiert einen moderneren und offeneren harmonischen Ansatz und ist einer der Höhepunkte des Albums. Kroemer merkt an, dass diese Komposition des italienischen Sängers und Pianisten Bruno Martino die intime Atmosphäre von ‚Over the Rainbow‘ fortsetzt. Er betont, wie das offene Latin-Feeling die Farben aller vier Instrumente intensiv zum Vorschein bringt.

Der Titeltrack „No One Here“ ist ein sanfter Jazz-Walzer, den das Trio mit Finesse spielt und der an die großartigen Bill Evans-Trios der 1960er Jahre erinnert. Mir hat besonders das Bass-Solo in diesem Stück gefallen. Kroemer verrät, dass der Titel zwar eher zufällig gewählt wurde, er ihn aber inzwischen mit einem meditativen Zustand der Leere und Präsenz assoziiert.

„Bye Bye Blackbird“ beginnt mit einer kontrapunktischen Interpretation der Melodie, die von Reinfeld und Kroemer gespielt wird, bevor sie in einen geradlinigen Swing übergeht. Kroemer erzählt, dass er dieses Arrangement vor über 25 Jahren während seines Studiums geschrieben hat und es kürzlich wiederentdeckt und für diese Aufnahme weiterentwickelt hat.

Das Album schließt mit Leonard Bernsteins „Somewhere“, eine passende Wahl, um die Sammlung abzurunden. Kroemer betrachtet diese Komposition, wie „Over the Rainbow“, als einen seiner absoluten Favoriten. Er erwähnt, dass er das Arrangement speziell für diese Aufnahme für ein Quartett umgeschrieben hat.

In den Liner Notes zum Album erwähnt Kroemer, dass der kreative Prozess für „No One Here“ sowohl von langfristiger Vorbereitung als auch von spontaner Inspiration geprägt war. Er beschreibt offen seinen Kampf mit der Entscheidungsfindung und Inspiration nur wenige Tage vor der Aufnahme und hebt die Spannung zwischen bewusster Anstrengung und intuitiver Kreativität hervor. Dieser innere Konflikt prägte letztlich die vielfältige Titelliste und die emotionale Tiefe des Albums.

Der Aufnahmeprozess wurde für Kroemer zu einer introspektiven Reise, die ihn dazu zwang, sich mit seinen künstlerischen Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen. Diese Selbstreflexion zeigt sich in den nuancierten Interpretationen von Standards und der persönlichen Natur seiner Originalkompositionen. Das Ergebnis ist eine Sammlung, die sich sowohl sorgfältig ausgearbeitet als auch authentisch spontan anfühlt.

Kroemers philosophische Herangehensweise an das Musizieren, bei der er jeden Moment als eine Folge vergangener Erfahrungen betrachtet, die zu zukünftigen führen, spiegelt sich im zusammenhängenden Erzählbogen des Albums wider. Trotz der unterschiedlichen Stile und Tempi gibt es ein Gefühl der Kontinuität, das die einzelnen Titel miteinander verbindet.

Bei der Beurteilung von „No One Here“ kann ich sagen, dass dieses Album außergewöhnlich gut gespielt ist und ein breites Publikum ansprechen wird. Die Mischung aus Standards und Originalkompositionen sorgt für ein ausgewogenes Hörerlebnis und zeigt Kroemers Fähigkeiten sowohl als Interpret als auch als Komponist. Die Mitwirkung von Konstantin Reinfeld bei mehreren Titeln verleiht dem Album eine einzigartige Note. Seine Mundharmonika-Arbeit fügt sich gut in das Trio ein und bietet eine zusätzliche Stimme, die den Gesamtsound verbessert. Die unterschiedlichen Tempi und Stile des Albums – von swingenden Standards über sanfte Balladen bis hin zu moderneren Originalen – zeigen die Vielseitigkeit des Ensembles und Kroemers Bandbreite als Pianist und Arrangeur.

Besonders hervorzuheben sind die Originalkompositionen, die sich neben den bekannten Standards behaupten. „Franka“ und „No One Here“ zeigen Kroemers Fähigkeit, melodische, emotional mitreißende Stücke zu komponieren, während „Digga!“ seine Fähigkeit unter Beweis stellt, den Geist klassischer Jazzaufnahmen einzufangen und dabei ein zeitgenössisches Gefühl zu bewahren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich „No One Here“ als solide Ergänzung der zeitgenössischen Jazzlandschaft präsentiert. Auch wenn es stilistisch vielleicht keine neuen Wege beschreitet, bietet es eine gut ausgearbeitete, sorgfältig arrangierte und gekonnt gespielte Sammlung von Titeln, die sowohl Jazzliebhaber als auch Gelegenheitshörer zufriedenstellen dürfte. Rene Kroemers tiefer Respekt vor der Jazztradition, kombiniert mit seiner persönlichen Note in Arrangements und Originalkompositionen, führt zu einem Album, das sich sowohl vertraut als auch frisch anfühlt. Die Mitwirkung von Konstantin Reinfeld bei mehreren Titeln verleiht dem Trio-Format eine interessante Dimension und schafft eine Klangpalette, die diese Veröffentlichung von anderen Aufnahmen von Klaviertrios unterscheidet.

Line-Up:

  • Rene Kroemer – piano
  • Konstantin Reinfeld – Harmonica (on Track 2,5,6,9,11,12)
  • Nico Brandenburg – Double Bass
  • Marcus Moeller – Drums